M. Meserve: Papal Bull. Print, Politics, and Propaganda in Renaissance Rome

Titel
Papal Bull. Print, Politics, and Propaganda in Renaissance Rome


Autor(en)
Meserve, Margaret
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 437 S.
Preis
€ 55,62; $ 59.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wendan Li, Peking University, Department of History

Seit Elizabeth Eisenstein1 1979 die Druckerpresse als „an Agent of Change“ hervorgehoben und ihr den Erfolg der Renaissance, der Reformation und der Wissenschaftsrevolution zugeschrieben hatte, ist diese bahnbrechende These viel diskutiert, weiterentwickelt und modifiziert worden. Es ist zwar durchaus richtig, dass die Druckerpresse die Verbreitung und Sicherung von Informationen revolutionierte, indem sie erstmalig eine Massenkommunikation ermöglichte. Doch die Legende, dass allein die Druckerpresse eine umfassende soziale Umwälzung in Gang setzte, ist von der jüngsten Forschung überzeugend widerlegt worden. Allem voran steht diesbezüglich der Umstand, dass das Druckverfahren mit beweglichen Lettern bereits rund 400 Jahre vor Johannes Gutenberg in China erfunden wurde. Von größerer Bedeutung sind folglich die Fragen, was konkret gedruckt wurde und was die Druckerzeugnisse im jeweiligen historischen Kontext bewirkten.

Trotz der ausführlichen Bearbeitung dieses Themas standen die Druckwerke einer alten Institution und deren Einsatzgebiete lange im Schatten der Forschung: die Druckerzeugnisse des Renaissance-Papsttums. Diese Forschungslücke ist nun von Margaret Meserve, Professorin an der University of Notre Dame und Autorin des Buches „Empire of Islam in Renaissance Historical Thought“, geschlossen worden. Die Autorin erklärt, die bisherige Forschung habe die römische Kirche als konservativ und autoritär stilisiert. Sie sei passiv gegenüber der gedruckten Kritik der Reformatoren und nicht in der Lage gewesen, sich derselben Kommunikationsmittel zu bedienen. (S. 3) Um diese gängige Meinung zu widerlegen, untersuchte Meserve in ihrem 2021 erschienenen Buch „Papal Bull: Print, Politics, and Propaganda in Renaissance Rome“, wie und wofür das Renaissance-Papsttum die Druckerpresse in den Anfangsjahren ihrer Erfindung nutzte und welche Möglichkeiten und Risiken sich daraus ergaben. (S. 18) Von diesem Blickwinkel aus spannt Meserves Buch den Bogen von der 1470er- bis in die 1520er-Jahre, also von Gutenbergs Ablassdruck bis hin zu Martin Luthers 95 Thesen und von Papst Paul II. bis Papst Leo X. Ihr besonderes Augenmerk liegt dabei auf den päpstlichen Bullen, die die Autorin als die am weitesten verbreiteten, formellsten und gebräuchlichsten päpstlichen Dokumente bezeichnet. (S. 9)

Das Buch umfasst neben der Einleitung (S. 1–20) und der Schlussbetrachtung (S. 347–351) acht Kapitel. Das erste Kapitel „Urbi et orbi“ (S. 21–60) führt in die Mechanismen der politischen Kommunikation der Kommune und des Papsttums im spätmittelalterlichen Rom ein, wobei die Kontinuität der Kommunikation herausgearbeitet wird. Verschiedene Kommunikationsmittel werden dargestellt, von den „sprechenden Statuen“ bis zu den an der Kirchentür aufgehängten Papstbullen. Die Druckerpresse, die seit den 1460er-Jahren in Rom zur Verfügung stand, wurde von den Päpsten und der päpstlichen Kanzlei genutzt. Allerdings, so Meserve, war die päpstliche Druckpraxis zunächst traditionell und vor allem administrativer Natur, während weiterhin handschriftliche Originale dominierten.

Das zweite Kapitel „Humanists, Printers, and Others“ (S. 61–92) widmet sich verschiedenen Personengruppen wie Humanisten, Juristen und Druckern, die als erste die Druckerpresse aktiv für sich nutzten. Es schildert zwei einschneidende Ereignisse, die osmanische Eroberung von Negroponte 1470 und den angeblichen Ritualmord an Simon von Trient 1475, welche in ganz Europa erste, an den Papst gerichtete, politische Flugschriften zur Folge hatten. Meserve stellt fest, dass zu dieser Zeit die Stimme der öffentlichen Gewalt in den Druckerzeugnissen noch völlig fehlte und sich dies erst unter Sixtus IV. ändern sollte.

Das dritte Kapitel „Sixtus IV and His Pamphlet Wars“ (S. 93–127) und das vierte Kapitel „Broadsides in Basel“ (S. 128–157) befassen sich mit dem Einsatz der Druckerpresse als Waffe zur Konfliktbewältigung durch Papst Sixtus IV. Im Mittelpunkt stehen die Flugschriftenkriege nach der Pazzi-Verschwörung, im Ferrara-Krieg und im Konflikt mit Erzbischof Andreas Jamometić, der für eine Kirchenreform ein neues Konzil in Basel gefordert hatte. Innovativer seien laut Meserve jedoch die Flugschriften der Gegner des Papsttums gewesen, die sich mit der Rhetorik eines Geschichtenerzählers (S. 105) direkt an die Öffentlichkeit wandten und die Worte des Papstes verfälschten (S. 118), während die päpstliche Kanzlei vor allem offizielle Dokumente druckte (S. 127). Die Nachwirkungen der Flugschriftenkriege werden von Meserve als „the first affaire des placards“ (S. 128) bezeichnet, welche schließlich zur Eskalation der Krise geführt habe.

Die folgenden drei Kapitel sind den religiösen Praktiken in Rom gewidmet. Pilgerführer, Berichte über neu erworbene Reliquien und „oratio obedientiae“ gegenüber dem Papst bilden den Hauptbestandteil der römischen Druckerzeugnisse im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert. Obwohl diese Texte nicht auf Initiative des Papstes entstanden, so die Autorin, spiegelten sie ihren Lesern doch „das aktuelle Bild der päpstlichen Autorität“ wider (S. 161). Das Kapitel 5 „Holy Face, Imprinted and in Print“ (S. 158–202) untersucht drei Pilgertexte, die von den Darstellungen des Schweißtuchs der Veronika berichten, nämlich die Sammlung der Historia-Oratio-Indulgentiae. Das sechste Kapitel „Refugee Relics“ (S. 203–259) behandelt die Drucke, die sich auf die nach Rom gebrachten Reliquien beziehen, nämlich der Kopf des Heiligen Andreas, die Heilige Lanze, die Madonna von Loreto und ihr „Fliegendes Haus“. Der älteren Forschungsmeinung, dass die Druckerpresse visuelle Bilder „stabilisierte und standardisierte“, setzt Meserve entgegen, dass die gedruckten Bilder vielfältiger waren als ihre handgemalten Vorgänger (S. 254). Das Kapitel 7 „Kissing the Papal Foot“ (S. 260–287) diskutiert die Texte der an den neu gewählten Papst gerichteten, diplomatischen Reden, mit denen der Primat der römischen Kirche neu artikuliert wurde.

Im achten Kapitel „Brand Julius“ (S. 288–346) geht Meserve wieder auf die gedruckten Papstbullen ein und verdeutlicht den Einsatz der Druckerpresse als „spirituelles Schwert“ (S. 290) unter Julius II. und Leo X. am Vorabend der Reformation. Zu den Neuerungen, die die Druckerpresse mit sich brachte, gehört das visuelle Format der gedruckten Bullen, z.B. der längere Paratext, den die Autorin als „politische Unsicherheit“ des Pontifikats Julius’ II. interpretiert (S. 335). Die gedruckten Bullen hätten sogar das Fünfte Laterankonzil als eine ausschließlich päpstliche Initiative gebrandmarkt. Dennoch, so Meserve, blieb die Ekklesiologie, die die Päpste durch die Druckerpresse verbreiteten, nahezu unverändert. (S. 346)

Am Ende ihres Buches zieht die Autorin ihr Fazit aus den Ergebnissen ihrer Untersuchungen: „The medium could not, by itself, modernize the institution, or even the message.“ „Despite their embrace of a revolutionary medium, the message remained resolutely traditional.“ (S. 350) Insgesamt ist hervorzuheben, dass diese vielschichtige Studie, die 2022 mit dem „Helen & Howard Marraro Prize“ der „American Catholic Historical Association“ für Italienische Geschichte ausgezeichnet wurde2, exemplarisch den in der Einleitung versprochenen wichtigen Beitrag zu den Debatten über die „Revolution“ der Druckerpresse, über den Charakter des frühneuzeitlichen Papsttums sowie über den Ursprung der Reformation leistet. (S. 12) Trotzdem wäre es für den Leser bzw. die Leserin vielleicht noch angenehmer gewesen, die wesentlichen Elemente des päpstlichen Druckwesens im Einzelnen zu thematisieren, wie z.B. das Verhältnis und die jeweilige Leserschaft von lateinischen und volkssprachlichen Drucken, der Anteil von gedruckten Texten gegenüber Illustrationen oder die Kosten der verschiedenen Druckproduktionen. Darüber hinaus stützt sich dieses sonst so informative Buch über Technologie und Wandel leider nur wenig auf quantitative Statistiken, Analysen und Diagramme, welche die Trends und Kontraste besser hätten visualisieren können. Diese Kleinigkeiten schmälern aber keineswegs den Wert dieses verdienstvollen Werkes, das sein erklärtes Ziel in hervorragender Weise erreicht. Eine breite Rezeption in der internationalen Forschung ist ihm zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Elizabeth L. Eisenstein, The Printing Press as an Agent of Change. Communications and Cultural Transformations in Early-Modern Europe, Cambridge 1997.
2 Siehe https://achahistory.org/2022/12/01/margaret-meserve-receives-marraro-prize-for-papal-bull-print-politics-and-propaganda-in-renaissance-rome/ (29.04.2023).

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